(bild: borealis) große wirkung - engel global

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36 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 11/2013 SPRITZGIESSEN ROBERT ENDLWEBER RUTH MARKUT-KOHL JOSEF GIESSAUF GEORG STEINBICHLER B eim MuCell-Verfahren schäumt die mit einem physikalischen Treibmittel beladene Schmelze nach dem Einspritzen in die Werkzeug- kavität auf. Auf diese Weise lassen sich Rohmaterialeinsatz sowie Bauteilgewicht reduzieren und gleichzeitig in vielen Fäl- len die Bauteileigenschaften verbessern [1–8]. Die Anwendung des Verfahrens minimiert im Vergleich zum Kompakt- spritzgießen den Verzug und die Wahr- scheinlichkeit von Einfallstellen. Weitere Vorteile ergeben sich für die Prozessführung, die Bauteilauslegung und die Maschinendimensionierung. So können in der Regel kleinere Spritzgieß- maschinen mit einer geringeren Schließ- kraft eingesetzt werden, da der MuCell- Prozess ohne Nachdruck durch die Schnecke auskommt. Durch den Schäumprozess entsteht ein „interner“ Nachdruck [1], der nach dem Einspritz- vorgang ein homogenes Druckprofil im gesamten Bauteil erzeugt. Die Höhe die- ses Drucks lässt sich innerhalb gewisser Grenzen einstellen und ist üblicherweise geringer als beim Standard-Spritzgießen. Aus den geringeren Auftreibkräften im Werkzeug resultiert letzten Endes eine geringere Schließkraft. Weniger bekannt sind zwei weitere Pluspunkte des MuCell-Verfahrens. Die niedrigere Viskosität der Kunststoff- schmelze eröffnet zum einen neue De- signoptionen, da sich längere Fließwege realisieren lassen [1, 5, 6], und bietet zum anderen die Möglichkeit, die Massetem- peratur abzusenken und dadurch die Zykluszeit zu verkürzen [1, 3]. Um auch diese Potenziale ausschöpfen zu können, ist ein grundlegendes Verständnis des MuCell-Prozesses notwendig. Die Gasbereitstellung – super- kritisch und doch ganz einfach Das physikalische Schäumen mittels MuCell-Technologie basiert auf Entwick- lungen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston/USA und wird von Trexel vermarktet. Die Engel Austria GmbH, Schwertberg/Österreich, bietet unter dem Namen „Engel foam- melt“ integrierte Anlagen für das MuCell- Verfahren aus einer Hand an. Der Vorteil für den Anwender ist, dass der Schäum- prozess auch in die Steuerung der Spritz- gießmaschine eingebunden ist und sich über das Maschinendisplay regeln und kontrollieren lässt. Das Gas (N 2 oder CO 2 ) wird in super- kritischem Zustand, d. h. als superkriti- sches Fluid (SCF), beigefügt (Kasten S. 40) und dazu in der Gasversorgungseinheit Kleine Zellen, große Wirkung Das MuCell-Schaumspritzgießen kommt heute bereits in zahlreichen Anwen- dungen zum Einsatz und erfährt aktuell nicht zuletzt aufgrund der steigenden Bedeutung des Leichtbaus einen großen Schub. Die lizenzgebührenfreie Technik bietet gegenüber dem Standard-Spritzgießprozess zahlreiche Vorteile, in der Praxis wird das gesamte Potenzial aber längst nicht ausgeschöpft. ARTIKEL ALS PDF unter www.kunststoffe.de Dokumenten-Nummer KU111532 Der Instrumenten- tafelträger des VW Golf 7 wird im MuCell-Verfahren auf einer Spritzgieß- maschine Engel duo 2700 aus einem glas- fasergefüllten PP (Fibremod GE 277 Al, Borealis) hergestellt (Bild: Borealis)

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36 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 11/2013

SPR I T ZG I E S S EN

ROBERT ENDLWEBER

RUTH MARKUT-KOHL

JOSEF GIESSAUF

GEORG STEINBICHLER

Beim MuCell-Verfahren schäumtdie mit einem physikalischenTreibmittel beladene Schmelze

nach dem Einspritzen in die Werkzeug-kavität auf. Auf diese Weise lassen sichRohmaterialeinsatz sowie Bauteilgewichtreduzieren und gleichzeitig in vielen Fäl-len die Bauteileigenschaften verbessern[1–8]. Die Anwendung des Verfahrensminimiert im Vergleich zum Kompakt-spritzgießen den Verzug und die Wahr-scheinlichkeit von Einfallstellen.

Weitere Vorteile ergeben sich für dieProzessführung, die Bauteilauslegungund die Maschinendimensionierung. Sokönnen in der Regel kleinere Spritzgieß-

maschinen mit einer geringeren Schließ-kraft eingesetzt werden, da der MuCell-Prozess ohne Nachdruck durch dieSchnecke auskommt. Durch denSchäumprozess entsteht ein „interner“Nachdruck [1], der nach dem Einspritz-vorgang ein homogenes Druckprofil imgesamten Bauteil erzeugt. Die Höhe die-ses Drucks lässt sich innerhalb gewisserGrenzen einstellen und ist üblicherweisegeringer als beim Standard-Spritzgießen.Aus den geringeren Auftreibkräften imWerkzeug resultiert letzten Endes einegeringere Schließkraft.

Weniger bekannt sind zwei weiterePluspunkte des MuCell-Verfahrens. Dieniedrigere Viskosität der Kunststoff-schmelze eröffnet zum einen neue De-signoptionen, da sich längere Fließwegerealisieren lassen [1, 5, 6], und bietet zumanderen die Möglichkeit, die Massetem-peratur abzusenken und dadurch dieZykluszeit zu verkürzen [1, 3]. Um auchdiese Potenziale ausschöpfen zu können,

ist ein grundlegendes Verständnis desMuCell-Prozesses notwendig.

Die Gasbereitstellung – super-kritisch und doch ganz einfach

Das physikalische Schäumen mittelsMuCell-Technologie basiert auf Entwick-lungen des Massachusetts Institute ofTechnology (MIT) in Boston/USA undwird von Trexel vermarktet. Die EngelAustria GmbH, Schwertberg/Österreich,bietet unter dem Namen „Engel foam-melt“ integrierte Anlagen für das MuCell-Verfahren aus einer Hand an. Der Vorteilfür den Anwender ist, dass der Schäum-prozess auch in die Steuerung der Spritz-gießmaschine eingebunden ist und sichüber das Maschinendisplay regeln undkontrollieren lässt.

Das Gas (N2 oder CO2) wird in super-kritischem Zustand, d.h. als superkriti-sches Fluid (SCF), beigefügt (Kasten S. 40)und dazu in der Gasversorgungseinheit

Kleine Zellen, große Wirkung

Das MuCell-Schaumspritzgießen kommt heute bereits in zahlreichen Anwen-

dungen zum Einsatz und erfährt aktuell nicht zuletzt aufgrund der steigenden

Bedeutung des Leichtbaus einen großen Schub. Die lizenzgebührenfreie Technik

bietet gegenüber dem Standard-Spritzgießprozess zahlreiche Vorteile, in der Praxis

wird das gesamte Potenzial aber längst nicht ausgeschöpft.

ARTIKEL ALS PDF unter www.kunststoffe.deDokumenten-Nummer KU111532

Der Instrumenten-tafelträger des VW

Golf 7 wird imMuCell-Verfahren auf

einer Spritzgieß-maschine Engel duo

2700 aus einem glas-fasergefüllten PP

(Fibremod GE 277 Al,Borealis) hergestellt

(Bild: Borealis)

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37Kunststoffe 11/2013 www.kunststoffe.de

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auf ein Druckniveau von etwa 440 bar ge-bracht.Mit den Druckreglern 1 und 2 undeinem kalibrierten Masseflusselementwird bei einer definierten Druckdifferenzein konstanter Massedurchsatz generiert(Bild 1). Dieser ergibt sich aus dem ge-wünschten Gasgehalt in der Kunststoff-schmelze und der Begasungszeit währenddes Dosiervorgangs. Ist der Massedurch-satz einmal eingestellt, bleibt er über dengesamten Zyklus konstant.

Die Gaszufuhr in die Schmelze erfolgtüber einen Injektor. Wenn die Schmelzegerade nicht begast wird, ist der Injektorgeschlossen, das Drosselventil jedochgeöffnet, sodass das Gas über einen By-pass rückgeführt wird („Rücklauf“). DerDruckregler 3 regelt in dieser Phase denBetriebsdruck, der unmittelbar am ge-schlossenen Injektor anliegt.

Zum Begasen der Schmelze wird derInjektor geöffnet, bis der gewünschteGasgehalt erreicht ist („Zudosierung“).In dieser Phase bleibt das Drosselventilzum Bypass geschlossen. Beim Öffnendes Injektors fällt der Betriebsdruckspontan ab. Hierbei gleicht sich der Be-triebsdruck dem Schmelzedruck direktunterhalb des Injektors an. Letzterer wirdgemessen und als „Druck Injektor 1“ be-zeichnet.

Einphasige Gas/Polymer-Lösung erzeugen

Das MuCell-Verfahren verlangt eine spe-zielle Plastifiziereinheit. Die Schnecke miteinem typischen Längen/Durchmesser-Verhältnis von 24 bis 25 ist aufgebaut aus

� einem Plastifizierbereich (Einzugs-,Kompressions-, Meteringzone);

� einer hinteren Rückströmsperre, dieverhindert, dass gasbeladene Schmel-ze in den Plastifizierbereich gelangtund dort aufschäumt;

� einem Mischbereich für die Homoge-nisierung des SCF in der Schmelze;

� einer vorderen Rückströmsperre mitverkürztem Hub.

Der Injektor ist (in Fließrichtung) unmit-telbar nach der hinteren Rückströmsper-re am Massezylinder positioniert. Nachdem Eintritt des superkritischen Fluids inden Mischbereich der Schnecke wird esdurch Scher- und Mischvorgänge sowiedurch Diffusion in der Schmelze fein ver-teilt. Spätestens vor der Schneckenspitzeliegt eine einphasige SCF/Polymer-Lö-sung vor. Um diesen Zustand aufrecht zu

halten, muss die Schmelze während desgesamten Zyklus unter Druck gehaltenwerden. Eine patentrechtlich geschützteLösung von Engel macht dies auch beigeöffnetem Schutzgitter möglich [9]. Ei-ne Unterbrechung der „aktiven Stau-druckregelung“ würde einen Druckabfallund somit ein Aufschäumen im Massezy-linder zur Folge haben.

Der Prozess lässt sich in eine Abfolgedefinierter Einzelschritte zerlegen (Bild 2).Nach dem Einspritzen befindet sich dieSchnecke in der vorderen Position. Dabeisind beide Rückströmsperren geschlos-sen. Nun beginnt der Dosiervorgang. DieSchmelze wird nach vorne gefördert, da-durch öffnen beide Rückströmsperren(A). Schließlich stellt sich unterhalb desInjektors ein konstanter Druck ein. Nunkann mit der Begasung begonnen wer-den. Beim Öffnen des Injektors gleichtsich der Betriebsdruck dem Druck imMassezylinder an. Das superkritische

Fluid wird nun mit konstantem Durch-satz in die Schmelze gefördert (B).

Mit dem Erreichen des eingestelltenDosierhubs wird die Plastifizierung be-endet. Da kein Material mehr gefördertwird, sinkt der Druck im Plastifizierbe-reich der Schnecke. Die entstehendeDruckdifferenz zwischen Mischbereichund Meteringzone schließt die hintereRückströmsperre (C). Abhängig vonderen geometrischer Ausführung, Ver-schleiß und den Prozesseinstellungenkann es nun zu einer Leckströmung derSchmelze an der Sperre kommen. Da-durch sinkt der Druck unter dem Injek-tor ab. Bis zu einem gewissen Ausmaß istdieser Druckabfall üblich und hat keineAuswirkung auf die Prozessqualität.

Beim Start des Einspritzvorgangs be-wegt sich die Schnecke axial nach vorne.

Bild 1. Die MuCell-Gasinjektionseinheit ist in die Steuerung der Spritzgießmaschine integriert. Das Anlagenschema der Gasversorgungseinheit wird auf dem Display der Maschine dargestellt.Diese Integration vereinfacht die Anwendung und erhöht die Prozesssicherheit (Bilder: Engel)

Bild 2. Verfahrensablauf beim MuCell-Prozess, A: Start Dosieren; B: Start Begasung; C: EndeDosieren; D: Start Einspritzen

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Mit dem Spritzdruck im Schneckenvor-raum baut sich ein Druckunterschied ander vorderen Rückströmsperre auf, derneben Reibmechanismen zwischen ihrerMantelfläche und dem Massezylinderdazu führt, dass die Sperre sich schließt(D). In der Kavität initialisiert einDruckabfall den Schäumprozess, es bil-det sich die typische Integralstruktur mitkompakter Randschicht und geschäum-tem Kern aus [2].

Den Gesamtprozess im Blick behalten

Zur Überwachung des MuCell-Prozesseszeichnet die Steuerung der Engel-Spritz-gießmaschinen den zeitlichen Verlauf derMesswerte auf. Besonders aussagekräfti-ge Parameter hierfür sind der Betriebs-druck der Gasversorgungseinheit und derDruck unter dem Injektor. Diese beidenParameter erlauben Aussagen zur Qua-lität und Reproduzierbarkeit des SCF-Einmischverhaltens sowie über dasSchließverhalten der vorderen und hin-teren Rückströmsperre (Bild 3).

Im Prozessdatenprotokoll, das stattKurvenverläufen Prozesskennwerte für je-

den Zyklus aufzeichnet, lassen beispiels-weise Abweichungen des Betriebsdrucksoder der Dosierzeit Rückschlüsse auf ei-ne Veränderung im Prozess zu. Unter an-derem werden Viskositätsänderungen desMaterials, Schwankungen in der Mate-

rialtrocknung und Undichtigkeiten imBegasungssystem erkannt. Um den Qua-litätsanforderungen einer modernen Pro-duktion gerecht zu werden, bietet ein in-tegrierter Druck- oder Systemtest dieMöglichkeit, die einwandfreie Funktionder Gasversorgungseinheit festzustellenund zu protokollieren.

Neue Designoptionen und die Wirkung des „inneren“Nachdrucks

Das gelöste Gas verringert die Viskositätder Schmelze, wie das Beispiel eines un-gefüllten Polypropylens zeigt (Bild 4). Bei225 °C Schmelzetemperatur und einemGasgehalt von 1,6 % sinkt die Viskositätum 10 % – und in der Folge auch der Füll-druck. Diesen Effekt kann man nun nut-zen, um Bauteile mit längeren Fließwe-gen oder geringerer Wanddicke zu füllen.

175

150

125

100

75

bar

Zeit

DosierenEinspritzenDr

uck

Druck im SchneckenvorraumSchmelzedruck unter dem InjektorSCF-Betriebsdruck vor dem Injektor

1

423

Δp

Bild 3. Die Interpretation von Druckverläufen hilft, ein Prozessfenster für den optimalen Gasgehalt zu definieren. 1: Start Dosieren; 2: Erreichen eines konstanten Schmelzedrucks unter dem Injektor; 3: Abfall des Betriebsdrucks durch Öffnen des Injektors; 4: Schließen des Injektors, Ende Begasen.Δp markiert einen Druckabfall nach Schließen der hinteren Sperre, der keine Auswirkung auf dieProzessqualität hat

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Stickstoffgehalt

15

%

5

0

-5

-10

-150

Visk

ositä

tsän

deru

ng

0,5 1,0 1,5 Masse-% 2,0

225 °C210 °C

Bild 4. Aus denDruckverlaufskurvenbeim Einspritzvor-gang lässt sich dieViskositätsänderungder Polymerschmelzeermitteln, hier dieeiner Polypropylen-schmelze in Abhän-gigkeit vom Stick-stoffgehalt bei 225und 210 °C

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300

bar

200

150

100

50

0angussnah angussfern

kompakt

Druc

k

300

bar

200

150

100

50

0angussnah

1 % N2

Druc

k

angussfern

angussnaherWerkzeuginnendrucksensor

angussfernerWerkzeuginnendrucksensor

Anspritzpunkt

Bild 5. Angussnah und angussfern (nach der halben Kühlzeit) gemessener Werkzeuginnendruck bei Fertigung eines kompakten und geschäumtenLaptopcovers im Vergleich. Der Unterschied beim Kompaktspritzgießen ist offensichtlich

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Alternativ lässt sich die Schmelzetempe-ratur absenken, um die Kühlzeit zu redu-zieren. So kann die Temperatur einer mit1,6 % Gas beladenen Schmelze um 15 °Cabgesenkt werden, um wieder zur ur-sprünglichen Viskosität der unbegastenSchmelze zu gelangen.

Die beim konventionellen Spritzgießenzwangsläufig auftretenden Druckgradien-ten zwischen Anschnitt und Fließweg-

ende sind häufig die Ursache für ungleich-mäßige Schwindung und somit Verzug amBauteil. Bei der Herstellung von Laptop-covers aus ungefülltem Polypropylen wur-den im Standard-Spritzgießprozess an-gussnah und angussfern stark unter-schiedliche Druckniveaus gemessen.BeimMuCell-Verfahren hingegen muss derNachdruck nicht erst über lange Fließwe-ge transportiert werden, sondern ist be-

reits in der Schmelze „vorhanden“ undwirkt gleichmäßig über das gesamte Bau-teil (Bild 5). Dieser Umstand lässt sich auchdazu nutzen, um Rippen entgegen übli-cher Faustregeln in derselben Dicke wiedas Bauteil auszuführen, ohne Einfallstel-len zu erhalten. Durch Eliminierung desäußeren Nachdrucks sinkt der maximaleWerkzeuginnendruck, sodass die Schließ-kraft beim Spritzgießen des Laptopcoversum 35 % reduziert werden konnte.

Den optimalen Gasgehalt ermitteln

Zahlreiche Beispiele bestätigen, dass dasBeimischen eines superkritischen Fluidspositive Effekte erzielt. Nun stellt sich dieFrage, ob diese Effekte durch eine Er-höhung des Gasgehalts immer weiter ge-steigert werden können. Bild 6 zeigt denerforderlichen maximalen Spritzdruckbei der Herstellung von Laptopcovers mitunterschiedlichen Gasgehalten. Dazu istdie Schaumstruktur über den Quer-schnitt des Bauteils dargestellt. Zunächstsinkt der Spritzdruck mit zunehmendemGasgehalt, bis sich bei 1,6 % ein Plateaueinstellt, das den maximal löslichen Gas-gehalt definiert.

Stickstoffgehalt

775

750

725

700

675

650

bar

0

Sprit

zdru

ck

0,5 1,0 1,5 2,0 % 2,5

Bild 6. Spritzdruck und Schaumstruktur in Abhängigkeit vom Gasgehalt bei ungefülltem PP:Zunächst sinkt der Spritzdruck mit zunehmendem Gasgehalt, bis sich ein Plateau einstellt

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Die Schliffbilder machen deutlich, wiesich die Schaumstruktur bis zu einemSCF-Gehalt von 1,6 % kontinuierlich ver-feinert und somit verbessert. Der Grundhierfür ist, dass mit der Gaskonzentrationauch die Nukleierungsrate steigt. Dasheißt, es bildet sich eine größere Anzahlvon kleineren Zellen aus. Eine weitereSteigerung des Gasgehalts führt allerdingszu einem sprunghaften Anstieg von Fehl-stellen, die durch ungelöstes Gas hervor-gerufen werden. Rasterelektronenmikro-skopische Aufnahmen machen den Grö-ßenvergleich zwischen einer feinzelligenSchaumstruktur und solchen Fehlstellensichtbar (Bild 7). Der optimale Gasgehaltvariiert von Anwendung zu Anwendungund lässt sich (analog zu Bild 6) experi-mentell ermitteln. Hier wird die beste

Schaumstruktur durch lichtmikroskopi-sche Untersuchungen validiert.

Fazit

Im Zeitalter des Leichtbaus ist MuCelllängst kein Sonderverfahren mehr, son-dern wird immer häufiger für innovativeAnwendungen genutzt. Das Schaum-spritzgießen bietet Vorteile in der Verfah-renstechnik, Maschinendimensionierungund Bauteilauslegung. Um das volle Po-tenzial nutzen zu können, ist grundlegen-des Wissen über den Prozess vonnöten.So hat beispielsweise der Gasgehalt einendirekten Einfluss auf die Schaumstrukturund somit auf die Bauteileigenschaften.Die Interpretation von Druckverläufenund mikroskopischen Aufnahmen derSchaumstruktur ermöglicht es, den fürdie jeweilige Anwendung idealen Gasge-halt zu definieren.�

LITERATUR

1 Altstädt, V.; Mantey, A.: Thermoplast-Schaum-spritzgießen. Carl Hanser Verlag, München 2010

2 Kirschling, G.: Mikroschäume aus PolycarbonatHerstellung-Struktur-Eigenschaften. Dissertation,Universität Kassel 2009

3 Egger, P.; Fischer, M.; Kirschling, H.; Bledzki, A.:Serienfeste Vielseitigkeit beim MuCell-Spritz-gießen – Ein Statusbericht für die Praxis (1).Kunststoffe 95 (2005) 12, S. 66–70

4 Egger, P.; Fischer, M.; Kirschling, H.; Bledzki, A.:Serienfeste Vielseitigkeit beim MuCell-Spritz-gießen – Ein Statusbericht für die Praxis (2).Kunststoffe 96 (2006) 1, S. 72–76

5 Steinbichler, G.; Egger, P.; Wörndle, R.; Spiegel, B.;Wurnitsch, C.: Thermoplastische Träume durchSchäume. Kunststoffe 91 (2001) 5, S. 64–67

6 Steinbichler, G.; Kragl, J.; Pierick, D.; Jacobsen, K.:Spritzgießen von Strukturschaum. Kunststoffe 89(1999) 9, S. 50–54

7 Stange, J.: Einfluss rheologischer Eigenschaftenauf das Schäumverhalten von Polypropylenen un-terschiedlicher molekularer Struktur. Dissertation,Universität Erlangen-Nürnberg 2006

8 Kühn-Gajdzik, J.: Amorphe und teilkristalline Mi-kroschäume im Spritzgießverfahren. Dissertation,Universität Kassel 2011

9 Engel Austria GmbH, Schwertberg/AT (2005): AT409 359 B, DE 101 53 331 B4, US 6 811 730 B2.Spritzgiessverfahren, 23.06.2005

DIE AUTOREN

DIPL.-ING. ROBERT ENDLWEBER, geb. 1984, istTechnologiemanager in der Entwicklung Prozesstech-nologie der Engel Austria GmbH, Schwertberg/Öster-reich; [email protected]

DIPL.-ING. DR. TECHN. RUTH MARKUT-KOHL,geb. 1975, ist Entwicklungsingenieurin in der Ent-wicklung Prozesstechnologie bei Engel; [email protected]

DIPL.-ING. JOSEF GIESSAUF, geb. 1968, leitet dieAbteilung Entwicklung Prozesstechnologie bei Engel;[email protected]

PROF. DR.-ING. GEORG STEINBICHLER, geb. 1955,ist Leiter Forschung und Entwicklung Technologienbei Engel und Vorstand des Instituts für Polymer-spritzgießtechnik und Prozessautomatisierung an derJohannes Kepler Universität, Linz/Österreich;[email protected]

SUMMARY

SMALL CELLS WITH A BIG EFFECTMUCELL FOAM INJECTION MOLDING is already usedin many applications and is currently being boosted bythe increasing importance of lightweight construction.The license-fee-free technology offers many advan-tages over standard injection molding, and its full po-tential is by no means exhausted in practice.

Read the complete article in our magazine Kunststoffe international and on www.kunststoffe-international.com

Bild 7. Wird der Gasgehalt nach dem Erreichen des Plateaus und der optimalen Mikro-Schaumstruktur (links) weiter erhöht, zeigen sich Fehlstellen – es bilden sich große, runde Poren (rechts)

Oberhalb eines kritischen Drucks und einerkritischen Temperatur liegt Gas im soge-nannten über- oder superkritischen Aggre-gatszustand vor. Dies ist bei Stickstoff (N2)oberhalb von 34 bar und -147 °C und beiKohlendioxid (CO2) oberhalb von 71 bar und31 °C der Fall. In diesem superkritischenZustand verändern sich die Eigenschaften.Die Fluide zeigen ein Verhalten, das sowohlfür Gase als auch für Flüssigkeiten charak-teristisch ist. Hohe Dichte und hohes Löse-vermögen – typisch für Flüssigkeiten – sindgepaart mit niedriger Viskosität und hohemDiffusionskoeffizienten, gemeinhin Merk-male von Gasen. Dieser Aggregatszustandbietet daher die idealen Voraussetzungenfür das Homogenisieren und Lösen desphysikalischen Treibmittels in der Kunst-stoffschmelze.

Superkritische Fluide!

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