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UMFANGSDEFINITION FÜHRT ZUM ZIEL Auf welche Aspekte sind bei der Implementierung eines digitalen Zwillings zu achten und welche Fehler sollten auf gar keinen Fall begangen werden? Diese und weitere Fragen beantwortet Philipp Wallner, Manager Industrial Automation & Machinery bei Mathworks. Von Markus Back DIGITALER ZWILLING 10 #008 um bestehende Prozesse zu optimieren oder um Anomalien besser erkennen und beheben zu können. Wer sollte sich Gedanken darüber machen, die Möglichkei- ten eines «Digitalen Zwillings» zu nutzen, wer kann diese getrost bleiben lassen? Wie so oft besteht die Gefahr, dass man sich von neuen Technologien, die in aller Munde sind, blenden lässt. Das ist gefährlich, weil es zu Lösungen führen kann, die sich am Ende nicht ausbezahlen. Daher sollte sich jeder zunächst einmal Gedanken darüber machen, ob er mit einem digitalen Zwilling überhaupt das erkannte Problem beheben kann. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen aus der Praxis erklären. Ein Hersteller von Kunststofffolien nutzt diesen, um seine Ausschussquote zu reduzieren. Der digitale Zwilling sagt ihm ganz genau vorher, wann die Kunststoff- folie reissen wird, so dass dieser steuerungstechnisch eingreifen und so einen Maschinenstillstand verhindern kann. Ein Hersteller von Flaschenabfüllanlagen opti- miert mit diesem hingegen seine Prozesse. Dazu lässt er parallel zur Abfüllanlage eine Simulation laufen, die er mit den Sensordaten dieser versorgt. ›› Grafik: Chombosan #008 11 W ie definieren Sie bei Mathworks den Begriff «Digitaler Zwilling»? Wir definieren den digitalen Zwilling als digitale Repräsentation, die laufend Mess- daten einer physikalischen Maschine, Anlage oder Kom- ponente erhält und aus diesen aktuelle und zukünftige Zustände einzelner Komponenten bis hin zu ganzen Maschinen und Anlagen berechnet. Entsprechend breit ist die Bandbreite der Modellierung beziehungsweise die Modellierungstiefe, die von reinen, datenbasierten, statistischen Modellen mittels Machine Learning oder Deep Learning bis hin zu First-Principle-Modellen reicht. Warum benötigt man überhaupt einen «Digitalen Zwilling»? Ein Aspekt ist sicherlich, dass die mechatronischen Systeme immer komplexer und die Ansprüche an die Flexibilität einer Maschine immer höher werden. Daher ist es wichtig, dass Konstrukteure über ein digitales Abbild der Maschine verfü- gen, das ihnen etwas über deren aktuelles sowie deren zu- künftiges Verhalten sagt. Diese Vorhersagen lassen sich zum Beispiel für vorausschauende Wartungskonzepte nutzen, um die Zeitfenster für Wartungen besser planen zu können. Ein digitaler Zwilling kann ebenfalls dazu genutzt werden, «Die Gefahr ist, dass man sich von einer neuen Technologie blenden lässt.» Philipp Wallner rät dazu, zunächst einmal zu klären, ob ein digitaler Zwilling überhaupt das erkannte Problem lösen kann

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Page 1: Grafik: Chombosan UMFANGSDEFINITION FÜHRT ZUM ZIEL · Grafik: Chombosan #008 11 W ie definieren Sie bei Mathworks den Begriff « Digitaler Zwilling » ? Wir definieren den digitalen

UMFANGSDEFINITION FÜHRT ZUM ZIEL

Auf welche Aspekte sind bei der Implementierung eines digitalen Zwillings zu achten und welche Fehler sollten auf gar keinen Fall begangen werden? Diese und weitere Fragen

beantwortet Philipp Wallner, Manager Industrial Automation & Machinery bei Mathworks.

Von Markus Back

D I G I T A L E R Z W I L L I N G

10 #008

um bestehende Prozesse zu optimieren oder um Anomalien besser erkennen und beheben zu können.

Wer sollte sich Gedanken darüber machen, die Möglichkei-ten eines « Digitalen Zwillings » zu nutzen, wer kann diese getrost bleiben lassen ?Wie so oft besteht die Gefahr, dass man sich von neuen Technologien, die in aller Munde sind, blenden lässt. Das ist gefährlich, weil es zu Lösungen führen kann, die sich am Ende nicht ausbezahlen. Daher sollte sich jeder zunächst einmal Gedanken darüber machen, ob er mit einem digitalen Zwilling überhaupt das erkannte Problem beheben kann.

Lassen Sie mich das an zwei Beispielen aus der Praxis erklären. Ein Hersteller von Kunststofffolien nutzt diesen, um seine Ausschussquote zu reduzieren. Der digitale Zwilling sagt ihm ganz genau vorher, wann die Kunststoff-folie reissen wird, so dass dieser steuerungstechnisch eingreifen und so einen Maschinenstillstand verhindern kann. Ein Hersteller von Flaschenabfüllanlagen opti- miert mit diesem hingegen seine Prozesse. Dazu lässt er parallel zur Abfüllanlage eine Simulation laufen, die er mit den Sensordaten dieser versorgt. ››

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#008 11

Wie definieren Sie bei Mathworks den Begriff « Digitaler Zwilling » ?Wir definieren den digitalen Zwilling als digitale Repräsentation, die laufend Mess-

daten einer physikalischen Maschine, Anlage oder Kom- ponente erhält und aus diesen aktuelle und zukünftige Zustände einzelner Komponenten bis hin zu ganzen Maschinen und Anlagen berechnet. Entsprechend breit ist die Bandbreite der Modellierung beziehungsweise die Modellierungstiefe, die von reinen, datenbasierten, statistischen Modellen mittels Machine Learning oder Deep Learning bis hin zu First-Principle-Modellen reicht.

Warum benötigt man überhaupt einen « Digitalen Zwilling » ?Ein Aspekt ist sicherlich, dass die mechatronischen Systeme immer komplexer und die Ansprüche an die Flexibilität einer Maschine immer höher werden. Daher ist es wichtig, dass Konstrukteure über ein digitales Abbild der Maschine verfü- gen, das ihnen etwas über deren aktuelles sowie deren zu- künftiges Verhalten sagt. Diese Vorhersagen lassen sich zum Beispiel für vorausschauende Wartungskonzepte nutzen, um die Zeitfenster für Wartungen besser planen zu können. Ein digitaler Zwilling kann ebenfalls dazu genutzt werden,

«Die Gefahr ist, dass man sich von einer neuen Technologie blenden lässt.»

Philipp Wallner rät dazu, zunächst einmal zu klären, ob ein digitaler Zwilling überhaupt das erkannte Problem lösen kann

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12 #008

D I G I T A L E R Z W I L L I N G

ANTRIMON Group AGGotthardstrasse 3 | CH-5630 Muri AGTel. +41 58 330 26 00 | antrimon.com

TURNS MECHATRONICS INTO SUCCESS

Von der Idee bis zum Serienprodukt

Systems Engineering

Geschäftsmodell

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Digitale Produktmodelle

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Product Lifecycle Management

Zuordnung von Anforderungen

Automatische Dokumentenerstellung

Auswirkungsanalyse bei Änderungen

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INNOVATIVE MECHATRONISCHESYSTEMEUnsere Produkte sind digitale Informationszwillinge über den gesamten Lebenszyklus.

Mit welchen typischen Herausforderungen sehen sich die Unternehmen konfrontiert, die sich auf dieses Terrain wagen?Viele Einsteiger verfügen über keine oder aber nur eine sehr geringe Erfahrung im Simulationsbereich. Diese mangelnde Kenntnis führt dazu, dass sie die komplette Anlage abbilden wollen, anstatt einen klaren Umfang zu definieren. Dieses Vorgehen führt meist zum Scheitern eines Projekts. In erfolgreichen Projekten haben die Unternehmen zuvor genau diesen klaren Umfang definiert. Dadurch können sie messen, was ihnen die Implemen- tierung gebracht hat, beispielsweise wie viele Service- einsätze vor Ort sie dadurch einsparen oder wie viele Maschinenstillstände sie dadurch verhindern konnten.

Eine andere Herausforderung ist die einseitige Herange-hensweise an den digitalen Zwilling, die das Domänen-Know-how nicht berücksichtigt. Da gehen dann Leute mit rein statistischen und datenbasierten Methoden vor und haben überhaupt keine Ahnung davon, was da eigent-lich an der Maschine oder Komponente passiert! Daher sollten Teams, die einen digitalen Zwilling aufbauen, sowohl über Domänen-Know-how als auch eine Expertise in der Datenanalyse verfügen.

Welche Voraussetzungen braucht es zwingend, wenn man einen « Digitalen Zwilling » aufsetzen möchte?Die Standardantwort lautet: «Es kommt darauf an». Sicher-lich ist ein Aspekt, für was der digitale Zwilling eigent- lich genutzt werden soll! Ein solcher kann sehr komplex und damit sehr rechenintensiv sein, es kann aber ge- nauso gut ein überschaubares Modell sein, bei dem nur ein paar Messwerte zusammengetragen und mathema- tisch für die Entscheidungsfindung aufbereitet werden.

Bei einfachen Modellen, in denen lediglich abgefragt wird, ob alles gut ist, braucht es definitiv keine Serverfarm im Keller, weil hier der IPC oder die SPS ausreichen. Es gibt aber eben auch sehr anspruchsvolle Modelle mit hohen Re- chenzeiten, wie zum Beispiel bei umfangreichen Energie-netz- oder Hydrauliksimulationen, wo es tatsächlich die Rechenleistung der Cloud braucht, um die Daten analysieren zu können.

Gibt es einen Punkt in der Wertschöpfungskette, der sich immer lohnt als digitaler Zwilling abzubilden oder ist dies von der Anwendung abhängig?Entscheidend ist sicherlich, zunächst einmal das wichtigste Glied innerhalb der Wertschöpfungskette zu identifi-

zieren beziehungsweise gezielt nach Punkten Ausschau zu halten, die Probleme bereiten. Ansonsten besteht die Ge- fahr, dass man an der Stelle beginnt, die man besonders gut kennt, nur weil es einem einfach erscheint, diese aber für den Prozess nur wenig oder überhaupt nicht relevant ist.

Was ist bezüglich der Datenerhebung und -speicherung zu beachten? Wie lange sollten die Daten beispielsweise aufbewahrt werden?Das hängt vom Vorhersage-Horizont ab. Wenn ich die nächsten Minuten mit einem digitalen Zwilling vorher- sagen möchte, macht es keinen Sinn, die vorherigen zehn Jahre aufzubewahren. Ganz anders ist es dagegen beim Predictive Maintenance oder der Anomalie-Er- kennung, weil die zu vermeidenden Fehlerszenarios ja nicht so häufig auftreten.

Was an dieser Stelle wichtig ist, es ist nicht die Menge der Daten entscheidend, sondern deren Qualität bezie-hungsweise Relevanz. Wenn wir beim Beispiel von Pre- dictive Maintenance bleiben, hat der digitale Zwilling überhaupt nichts davon, wenn er mit zehn Jahren «Gut-Daten» gefüttert wird.

Gibt es einen Schwellenwert, wo man sagt, wenn dieser nicht erreicht wird, ist zum Beispiel ein Fehlerfall günstiger als die Investition in den digitalen Zwilling ?Wir hatten schon Anwendungen, in denen durch den digitalen Zwilling pro Jahr und Maschine 50 000 Euro gespart werden konnten. Ein Stahlhersteller konnte durch dessen Einsatz die Kosten für die Kühlenergie in seiner Produktion um 40 Prozent reduzieren. Da liegt der Return on Invest vermutlich im Bereich weniger Stun- den. Generell lässt sich sicherlich sagen, wenn man bei diesem mit kleinen Zahlen herum jonglieren muss, ist es in der Regel das falsche Projekt für einen digi- talen Zwilling. 

Mathworks  |  www.ch.mathworks.com

«Wer mit kleinen Zahlen herumjonglieren muss, hat das falsche Projekt ausgewählt.»

Philipp Wallner zum Thema Return on Invest

Philipp WallnerAls Industry Manager für den Bereich Industrial Automation & Machinery in Europa ist der diplomierte Reglungstechniker für den Auf- und Ausbau des Industriebereichs bei Mathworks verantwortlich, der die Energieerzeugung, die Entwicklung von Automatisierungskomponenten und den Maschinenbau umfasst. Darüber hinaus arbeitet er gemeinsam mit den Entwicklerteams daran, das Portfolio von Mathworks auf die grossen Industrietrends wie Industrie 4.0, Digitale Trans- formation und Industrial Internet-of-Things abzustimmen. Vor seinem Eintritt in das Unternehmen hatte er unterschied- liche Positionen in der Technik und im Management im Ma- schinen- und Anlagenbau inne.