maciel 2008

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  9 >RETORNADOS< IN PoRTUGAL Noch war auch das Gefühl verbreitet, im Exil zu leben. Dennoch hatten sich bereits Mitte der 1950e r Jahre klare Tendenze n einer weit reichen den sozialen Integration der postkolo nialen Zuwanderer in den Niederlanden ge zeigt. Die Hälfte der Zuwanderer, Männer wie Frauen, hatte einheimis che Niederländer ge heiratet. Dieser Anteil stieg in den folgenden Jahren und Generatione n rasch an. Vo r allem jung en Familien mit Kindern bereitete die An passung kaum Schwierigkeiten; sie folgten niederländischen Erziehungsstilen. Dennoch hielten sie an manchen mitgebrachten kultu rellen Normen und Werten fest. In den 1980er und 199 0er Jahren geriet diese Strategie einer möglichst weitreichenden äußeren Anpas sung in die Kritik: Viel e Stimmen verlangten von der Elterngeneration nachdrücklich eine Rückbesinnung auf die Geschichte der eige nen Famil ie und damit auf das kulturelle Erbe ihrer durch die niederländische Kolonialge schichte gepr ägten Vorf ahre n. Die Gruppe der Niederländer indonesi scher Herkunft umfaßt zu Beginn des 21. Jahr hunderts 582.000 Menschen der ersten und zweiten Zuwandere rgenerati on. Etwa 45 8. 00 0 von ihnen leben in den Niederlanden, wo sie 3 Prozent der Bevölkerung ausmachen, 12 4. 00 0 in and eren Ländern. Die sozio-demo graphische Entwicklung dieser Gruppe seit ihrer Ankunft in den Niederlanden ergibt kein eindeutiges Bild: Sie wurde nie offiziell als Minderheit anerkannt und damit auch nicht Teil der damit verbundene n staatlic hen Förde rungsmaßnahmen, nur selten war sie Gegen stand soziologischer Untersuchungen. Nahe zu die Hälfte dieser Zuwanderer lebt in den Provinzen Nord- und Südholland im Städte gürtel im Westen des Landes (>Randstad<). Darin spiegelt sich die Situation der 1950er Jahre, als sich die meisten Neuankömml inge -ungeachtet der staatlichen Bemühungen um eine Verteilung auf das ganze Land -schwer punktmäßig hier ansiedelten. In dieser Hin sicht gleichen sie anderen Zuwanderergrup pen, die sich ebenfalls in den urbanen Ballungsräumen der Niederlande konzentrie ren .... Niederlande; Molukker in den Niederlan- den s it 1951 Lit.: Gijs Beets u.a., De demografische geschiede nis van de Indische Nederlanders, Den Haag 2002; Ulbe Bosma/Remco Raben/Wim Willems, De ge- schiedenis van Indische Nederlanders, Amsterdam 2006; Wim Willems u.a. Hg.), Uit Indie geboren. Vier eeuwen familieges chiedenis, Zwolle 1997; Wim Willems, No Sheltering Sky: Migrant Identities of Dutch Nationals from Indonesia, in: Andrea L. Smith Hg.), Europe s Invisible Migrants, Amster dam 2003, S. 33-59; Wim Uittocht uit Indie, 1945-1995, Amsterdam 2001. WIMWILLEMs >Retornados< aus den ehemaligen Kolonien 1 in Portugal seit den 1970er Jahren I Der Begriff •Retornado<, wörtlich >der Z u rückgekehrte<, bezieh t sich auf alle Zuwande rer, die während und unmittelbar nach der Dekolonisationsphase in den Jahren 1974- 1978 aus den ehemaligen portugiesischen Ko- lonien in Afrika (Mosambik, Angola, Kap Verde , Guinea- Bissau, Säo Tome und Princi pe) na ch Portugal kamen. Viele der Retorna dos waren europäischer, afrikanischer, asiati scher oder gemischter Abstammung die niemals in Portugal gelebt hatten, nach der Unabhängigkeit aber aus Afrika flohen, weil sie zum Beispiel mit den Kolonialherren kol laboriert hatten oder als weiße Siedler uner wünscht waren. Der Begriff bürgerte sich i n der zeitgenössischen Presse, in amtlichen o- kumenten und im alltäglichen Sprachge brauch ein und ist auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Gebrauch. Er dient der Definition und Kennzeichnung einer hetero genen, von der portugiesischen Gesellschaft als >Fremde< wahrgenommenen postkoloni alen Zuwanderergruppe. Das Regime des portugiesi schen Diktators Ant6nio Oliveira Salazar (193 2-19 68; Nach folger bis 1974: Marcello Caetano) öffnete in den 1950er und 1960e r Jahren d ie Kolon ien für neue Sie dler , de ren Z ahl in den späten 1960er Jahren rapide anstieg. Portugal reagierte da mit auf den wachsenden Widerstand unter der einheimischen Bevölkerung gegen das Kolonialregime und versuchte die koloniale Wirtschaft zu stärken. Im amtlichen Sprach ge brauch galten Portugal und seine Kolonien -  die als Uberseeprovinzen bezeichnet wurden als ei ne >untei lbare Na tio n<; auc h die Bevölke rung der von Portugal abhängigen über seeischen Gebiete wurde als Teil dieses >transkontinentalen< und >multiethnischen< Staatskonstrukt s verstanden. Mit der >Nelkenrevolution< von 1974 ende te in Portugal die Diktatur und in Afrika die portugiesische Kolonialherrschaft Nach den Bürgerkriegen in den afrikanischen Kolonien und der Übertragung der Regierungsgewalt auf die afrikanischen Befreiungsbewegungen standen 197 4 viele Menschen in Afrika vor der Entscheidung, entweder unter dem Schutz

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Retornados aus den ehemaligen Kolonien in Portugal seit den 1970er Jahren

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zu
der
reichenden sozialen Integration der postkolo
nialen Zuwanderer in den Niederlanden ge
zeigt. Die Hälfteder Zuwanderer, Männer wie
Frauen, hatte einheimische Niederländer ge
heiratet. Dieser Anteil stieg in den folgenden
Jahren und Generationen rasch an. Vor allem
jungen Familien mit Kindern bereitetedieAn
passung kaum Schwierigkeiten; sie folgten
niederländischen Erziehungsstilen. Dennoch
den
1980er
und
möglichst weitreichenden
äußeren Anpas
von der Elterngeneration nachdrücklich eine
Rückbesinnung auf die Geschichte der eige
nen Familie und
zweiten Zuwanderergeneration. Etwa 458.000
124.000 in anderen Ländern. Die sozio-demo
graphische Entwicklung dieser Gruppe seit
ihrer Ankunft in den Niederlanden ergibt kein
eindeutiges Bild: Sie wurde nie offiziell als
Minderheit anerkannt und damit
rungsmaßnahmen, nur selten
der
1950er
-ungeachtet der staatlichen Bemühungen um
eine Verteilung auf das ganze Land -schwer
punktmäßig
sicht gleichen sie anderen
Ballungsräumen
der
nis van de Indische Nederlanders,
Den
2006; Wim Willems u.a. Hg.), Uit Indie geboren.
Vier eeuwen familiegeschiedenis, Zwolle1997; Wim
Willems, No Sheltering Sky: Migrant Identities
of
Smith Hg.), Europe s
Indie, 1945-1995, Amsterdam 2001.
Jahren I
rer, die
pe) nach Portugal kamen. Viele der Retorna
dos waren europäischer, afrikanischer, asiati
scher oder gemischter Abstammung die
niemals in Portugal gelebt hatten, nach der
Unabhängigkeit aber aus Afrika flohen, weil
sie
zum
laboriert hatten oder als weiße Siedler
uner
wünscht
der zeitgenössischen Presse,
der
als >Fremde< wahrgenommenen postkoloni
den 1950er
neue
den späten
mit auf den
-  
als eine >unteilbare Nation<; auch die Bevölke
rung der von
Portugal abhängigen über
>transkontinentalen< und >multiethnischen<
Entscheidung,
res verließen fast eine halbe Million Menschen
die ehemaligen portugiesischen Kolonien. Die
ersten Abwanderungen aus den Kolonien
setzten bereits 1973 ein, also noch vor dem
Regimewechsel in Portugal. Anfang 1974
schnellte die Zahl der Retomados in die Höhe,
Plätze in den Flugzeugen, die nach Lissabon
starteten, wurden knapp. Deshalb richteten
die portugiesischen Behörden eine Luftbrük
ke zwischen Angola und Portugal ein. Die
großen Menscherunengen im Flughafen von
Lissabon
und
terten das Bild von einer vorbildlich organi
sierten Dekolonisierung, das die Regierungzu
vermitteln suchte.
maligen Kolonien, die zu 62 Prozent aus An
gola, zu 34 Prozent aus Mosambik und zu 4
Prozent aus anderen afrikanischen Ländern
kamen. Die Bevölkerung Portugals war da
durch
20.000 Portugiesen einschließlichder angola
nur unzureichende Informationen vor. Es
handelte sich überwiegend um Städter, die in
einer durch Rassendiskriminierung zerrisse
nen, von schwerwiegenden wirtschaftlichen
der kolonialen Ara wurden aufgrund fehlen
der finanzieller und personeller Mittel ge
stoppt , Wohnungs-)Bauprojekte eingestellt,
die portugiesische Staatsangehörigkeit, die in
Portugal geboren oder eingebürgert worden
waren. Hinzu kamen in den ehemaligen Ko-
lonien Geborene mit portugiesischen Eltern
oder Großeltern sowie im Ausland Geborene
mit portugiesischen Eltern. In den ehemaligen
Kolonien Geborene ohne portugiesische Vor-
fahren konnten erst dann Anspruch
auf
die
portugiesische S t a a t s a n g e ~ ö r i g k e i t erheben,
wenn
hatten. Infolge dieser Regelungen konnte die
überwiegende Mehrheit der Schwarzafrika
Ausnahmefällen beantragen; das betraf bei
spielsweise auch Veteranen der ~ o r t u g i e s i -
schen Kolonialarmee oder ehemalige Ange-
>RETORNADOS N PoRTUGAL 99
hörige der Kolonialverwaltung. Damit
gründete das portugiesische Staatsangehörig
Abstammungsgemeinschaft.
und 40
viele von ihnen in der Fremdbeschreibung als
Afrikaner. Die Mehrheit der Retornados war
männlich, die meisten von ihnen im erwerbs
fähigen Alter. Sie ließen sich überwiegend in
großstädtischen Räumen wie Lissabon 32
Prozent), Porto und Serobai nieder, wahr
scheinlich aufgrund der besseren Chancen,
Arbeit und Wohnungen
der Altersstruktur Portugals aus. Die verfüg
baren Statistiken lassen jedoch keine genaue
ren Angaben über Heiratsmuster und Endo
gamieraten zu.
tionen der Zuwanderer lagen über dem natio
nalen Durchschnitt: 1981 verfügten lediglich
17 Prozent von ihnen nicht über eine abge
schlossene Grundschulausbildung, während
tugiesen mit abgeschlossener Berufsaus
ment in der Wutschaft oder zur politischen
Elite, letzteres allerdings zumeist nur auf lo
kaler Ebene. 1981 machten die Retomados
mehr als 15 Prozent aller Beschäftigten
im
pro
den Raten lagen bei 12 Prozent in den Berei
chen Banken, Finanzen
6 Prozent im Bereich der öffentlichen Sicher
heit und bei ebenfalls 6 Prozent im Kleinge
werbe, oft Gaststätten. Daß bei insgesamt
niedriger portugiesischer Arbeitslosigkeit
ren, läßt Tendenzen der ökonomischen und
sozialen Marginalisierung eines Teils der
ruppe erkennen.
ne Spannungen zwischen den Einheimischen
 
Zwar
portugiesische Staatsangehörigkeit;
aber keineswegs ein Recht auf Aufenthalt im
Land. Daß weite Teile der portugiesischen Be
völkerung die Ankunft
wieder
zum
großer gesellschaftlicher Verunsicherung nach
nungsknappheit,Arbeitslosigkeit und die Be
de
gen bei der Rückkehr<) und der >Comissäo
Interministerial de Financiamento a Retorna
dos< (CIFRE; >Interministerieller Rat zur Fi
nanzierung der Retornados<), war es, die Re
patriierung der Retornados
oder den Bau von Häusern,
und
oder
Ausbau
von
ethnischen
und
dersartige Kleidung
tionen wie
anz
einsetzten (zum Beispiel bei Schadensersatz
ansprüchen) oder jährliche Zusammenkünfte
bestimmter Gruppen unter den
kehrern aus Angola.
geschichte verstanden, andere halten sie für
nur
ren für eine erfolgreiche Integration, so zum
Beispiel die räumliche Verteilung der Zuwan-
derer, ihre beruflich-soziale Positionierung
niger durch Migrantenorganisationen als
rung spezieller Förderungsprogramme,
zung offener Stellen, sei nicht erforderlich.
In
der
Stimmen laut, die zumeist auf das ihnen oft
entgegengebrachte negative Fremdbild ver-
der portugiesischen Nation sehen, gelten oft
als ein >fremdes< Element,
Ausgrenzung die Ursache für eine
nur ober-
tugiesen in der Auffassung, die Re tornados
seien keine >echten< Portugiesen,
Portugal. .... Spanien
Lit.:
Pires, 0 Regresso das
huri Hg.), Hist6ria da Expansäo Portuguesa,
Bd.
5,
Europe s Invisible Migrants, Amsterdam 2003.
CARMENMAau
seit der
und
1920.
Bis
renreichs. Der Begriff >russische Elite< kann
sich
auf
Fremdwahrnehmung zu unterscheiden. So
im Zaren-
sen jedoch in den baltischen Ländern bzw
Staaten selbst einen minderrechtlichen Status.
Darüber hinaus fehlen bis heute klare Kriteri
en,
wer
als
>russisch<
on
gen im Paß ab. Hinzu kommt das Problem,
daß
für das, was als >russisch< gilt, andere Kriteri-